Interview mit Christoph Keller

geführt am 28.8.2001

R.F.:
Die gegenwärtige Ausstellung in den Kunstwerken zeigt drei Arbeiten von Dir, die in sehr verschiedener Weise das Thema wissenschaftliche Sammlung und Archiv aufgreifen - ein Thema, dass in letzter Zeit eine verstärkte Aufmerksamkeit gefunden hat. Dabei haben zwei Deiner Arbeiten zumindest auf den ersten Blick einen eher dokumentarischen Charakter, die dritte Arbeit hingegen - die Installation in der zentralen Halle - stellt eine dezidiert künstlerische Transformation von wissenschaftlichem Bildmaterial dar. Wie würdest Du die Relationen zwischen den drei Arbeiten, vielleicht auch ihre Funktion beschreiben?

Chr.K.:
Also zunächst mal die drei Arbeiten : - Der Film über die Charité-Film-Geschichte Retrograd - eine Geschichte der medizinischen Filme der Charité Berlin 1900 - 1990 und die Arbeit Archives as Objects as Monuments sind zeitlich aufeinanderfolgend entstanden. Das heißt 1999 der Film über die Charité und 2000 die Archives as Objects as Monuments, die im Untertitel heißen würden Eine Archäologie des wissenschaftlichen Films. Die neueste Arbeit ist die über das Bewegungsarchiv Encyclopaedia Cinematographica. Daran sieht man schon eine Abfolge von Themenschwerpunkten meiner Arbeit und verschiedenen Einflüssen: Der Film über die Charité ist vielleicht am krudesten, auch in der Auseinandersetzung mit dem Dokument, in dem ich, glaube ich, auch das Dokument selber am stärksten thematisiere - in der Art, wie ich es einsetze, das heißt wie ich es wieder sprechen lasse. Gleichzeitig interessiert mich dabei, wie der Körper, der Mensch eingesetzt wird im Film. Für mich sind dabei zwei Ebenen wichtig; ich sehe meine Arbeit als zweifachen Prozess: Zum einen verwende ich Bilder und anderes Material, z.B. auch der Interviews, als Dokumente, die ich bearbeite, und gleichzeitig geht es um die Verwendung von Dingen, Sachverhalten und Körpern innerhalb der Wissenschaft. Der Film über die Charité trägt eigentlich diesen Dialog oder diesen Konflikt aus. Deshalb war er für mich eine grundlegende Arbeit.
Je mehr ich mich mit der Filmgeschichte der Charité beschäftigt habe, bin ich [auch] zu einem bestimmten Verständnis von Archiv gekommen, von der Möglichkeit, über Archive zu sprechen oder überhaupt auch ein Archiv als Objekt zu begreifen - ein Objekt, das eben in künstlerischem Sinne ein erzeugtes, oder so etwas wie ein literarisches Objekt sein kann. Ein künstlerisches Objekt, da es auch ein zu gestaltendes Objekt ist. Ein Archiv wird ja meistens als das angenommen was es [seiner Funktion nach ist]. Man sieht einem Archiv meistens nicht an, das es eine willentliche Gestaltung erfahren hat. Einer der ersten Schritte, die ich mit der Charité gemacht habe - quasi ein Vorläufer des Films - war eine Veröffentlichung der Filmgeschichte im Internet. Sie hieß Ein Archiv der medizinischen Filme der Charité und es ist so, dass es dieses Archiv in Wirklichkeit nie gab. Also es gab nie ein tatsächliches Archiv dort, sondern diese Filme sind produziert worden, ohne dass sie vorrangig archiviert wurden. Erst in dem du das Archiv erzeugst, erzeugst du auch eine Geschichte, und das meine ich mit dem Objekt.
Darüber - wie auch über das Recherchieren in verschiedenen Archiven - kam ich zu der zweiten Arbeit. Hier geht es im Grunde um eine Auseinandersetzung einerseits mit der Frage, was künstlerische Umsetzung ist und [andererseits] was für ein Objekt ich behandle. Der Titel bezieht sich ein bisschen auf eine Arbeit von Robert Smithon, die heißt The Monuments of the Passaic, wo Smithon industrielle Ruinen, oder Gebäude einer postindustriellen Landschaft versucht zu dokumentieren und so als kulturelle Dokumente zu begreifen. Mit Archiven habe ich einen ganz anderen Fall, weil es sich dort nicht mehr nur um eine Oberfläche dreht, sondern es im Grunde um den Versuch geht, ein Objekt zu begreifen, das ein kulturelles Objekt ist. Gerade diese wissenschaftlichen Archive sind Objekte ihrer Benutzung, des Wissens ihrer Zeit, in die eine breite kulturelle Verknüpfung hineinspielt. Das eigentliche Objekt ist [demnach] eins, das mehrere Bereiche umfasst. In der zweiten Arbeit habe ich versucht, diese Komplexität in der Montage von zwölf Tafeln sichtbar zu machen, in denen fünf oder sechs Archivobjekte auftauchen, die ich da montiere.

R.F.
Gerade bei dieser Arbeit fiel mir die sehr heterogene Zusammensetzung aus verschiedenen Elementen auf. Es wurden Texte und Bilder zusammengestellt, wobei die Textpassagen wiederum sehr disparat sind. Sie enthalten zum einen so etwas wie ein Register von Schlagworten, das nicht nur Begriffe erklärt, sondern mit Daten, Ereignissen und Personen eine geschichtliche Perspektive eröffnet. Gleichzeitig finden sich Zitate, die auf einer anderen Ebene die Arbeit dessen reflektieren, der solche Archive entweder anlegt oder aber sie vorfindet und mit ihnen arbeitet, sie nutzt. Ich denke dabei vor allem an ein Zitat Foucaults von 1977 auf der ersten Tafel, das vehement den Anspruch auf subjektive Formen der Begegnung mit und der Behandlung von historischem Material formuliert. Inwieweit ist gerade dieser unorthodoxe Anspruch eines Philosophen und Historikers ein leitender Gedanke deiner Arbeit?

Chr.K.
Die Form, die ich in dieser Arbeit anwende, hat Bezüge zur Assemblage, zur Montage- und Collagetechnik. Dabei ergibt sich zum einen eine Art von alphabetischer Ordnung, die sich jedoch auch wieder auflöst. Diese Ordnung verweist auf sich selbst und löst sich zugleich wieder auf, weil es schließlich nicht wirklich wichtig ist, ob in diesem Fall A vor E steht. Es wird vielmehr aus dieser Struktur heraus eine Geschichte erzählt. Im Grunde geht es bei diesem Muster sehr stark um eine Linearität, die viel mit dem Paradigma des Films zu tun hat und die bei dieser Arbeit eine große Rolle spielt. Bei der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Filmen geht es mir gerade auch um das Paradigma der Kontinuität, das sich im Film ausdrückt und sich zugleich in der starken Dominanz alpha-numerischer Auflistungen findet.
Ich fand es gerade sehr interessant, worauf Deine Frage jetzt eigentlich zielte?

R.F.
Ja, die bezog sich zunächst ganz konkret auf deine Arbeit Archives as Objects as Monuments ...

Chr.K.
Genau. Den Foucault habe ich an einer ganz bestimmten Stelle eingesetzt. Im Umgang mit den Materialien, die ich bearbeite, kommt man nicht an ihm vorbei, und mich hat vor allem diese Passage interessiert, in der eine Begeisterung für das Auswählen und Montieren und damit das Herstellen von Geschichte deutlich wird. - Dieses Zitat ist dann aber selbst auch ein Schnipsel in der Collage, kein eigentliches Leitmotiv.

R.F.
Wenn Archive zunächst Wissen ordnen, strukturieren und zugleich speichern, und damit eine Zeitdimension auch in die Zukunft hinein haben, siehst Du dann dieses emphatische Moment des Selbst-Geschichte-Machens als Möglichkeit, dem inzwischen mehrfach geäußerten Verdacht etwas entgegen zu setzen, dass gerade diese Institutionen des Gedächtnisses auch zu Nivellierung und Vergessen führen? Oder anders: In welcher Weise ist die subjektive Begegnung, die Berührung mit dem Material ein wichtiges Moment Deiner Arbeit am Archiv?

Chr.K.
Also da gibt es mehrere Aspekte. Das was Du ansprichst - [Nivellierung und Vergessen] - bezieht sich ja auf die Automatisierung von Archiven, auf die elektronischen Archive usw. Da ist es natürlich so, das in dieser Form aufbewahrte Geschichte erzählt werden muss. In der Charité-Arbeit stelle ich die Geschichte in einem schöpferischen Arbeitsprozess her, ich setze einen Rahmen, in dem ich aus den gesammelten Materialien ein Bild zusammenfüge. Das ist ein Prozess des Neu-Herstellens eines Archivs. Er findet immer auf dem Tableau der Gegenwart statt und nicht auf dem der Vergangenheit.
Der zweite Aspekt ist der, dass ich mich als jemand, der in einem Bereich arbeitet, den man Kunst nennen kann, ständig frage und reflektiere, was kann überhaupt interessant sein. In welche Richtung verändern sich da Beschäftigungsfelder? Und für mich bedeutet das auch, dass ich mich damit auseinandersetze, wo eigentlich die Oberfläche dessen ist, wovon ich ein Bild herstelle, wo finde ich das Objekt, das ich bearbeite. So wie ich vorhin die neue Herausforderung geschildert habe, das Archiv als Objekt zu begreifen und darzustellen, so kann man sich fragen, was ist eigentlich relevant, wenn du dich mit dem heutigen Körperbild auseinandersetzen willst. Dann wirst du nicht die Oberfläche der Wissenschaftsmagazine heranziehen können, sondern die [tragfähige] Oberfläche ist wahrscheinlich viel eher z.B. im Zusammenhang des human genom project zu finden, wo Bildoberflächen unmittelbar innerhalb des Rahmens dessen entstehen, worüber man überhaupt spricht. Das heißt innerhalb des Rahmens der Datenbank, der Idee von einer Gen-Datenbank und nicht auf Abbildungen von Gen-Grafiken - das kann nicht der Fokus sein. Dabei versuche ich natürlich zu überlegen, wie ich da, jetzt in meinem Fall als Künstler, ein Objekt ansprechen kann. Wie kann ich da eine kommunizierbare Ebene herstellen?

R.F.
Wenn ich Dich richtig verstehe, zielt dies auf eine direkt bei den tatsächlichen Formen, Methoden und Verfahren wissenschaftlicher Arbeit ansetzende, und zugleich eigenständige Visualisierung von Wissen, die über eine Expertenkultur hinausgeht und Anschlussmöglichkeiten zu lebensweltlicher Erfahrung bietet.

Chr.K.
Absolut. Der Bereich der Kunst ist deshalb für mich so interessant, weil er sowohl einen hohen Anspruch an den Diskurs bzw. verschiedene Diskurse stellt als auch körperlich wahrgenommen wird, sich nicht abgrenzen kann und dadurch vielmehr gefordert ist, als andere Bereiche, wo du dich auf eine Disziplin oder Methode zurückziehen kannst. Hier [bei der Kunst?] ist es so, das du nicht nur über eine geistige Ebene, sondern auch über eine körperliche Reaktion kommunizierst. Das halte ich für sehr wichtig.

R.F.
Besonders wichtig, denke ich, ist dieses Moment einer Kommunikation auf körperlicher Ebene in der Videoinstallation Encyclopaedia Cinematographica - zugleich geht es auch hier um eine Sammlung, um ein Archiv. Soweit ich weiß, war ein Fundus von einigen Tausend filmischen Bewegungsstudien von Tieren der Ausgangspunkt der Arbeit. Unter welchen Gesichtspunkten hast du aus dieser Menge jene 40 Filme ausgesucht, die dann für die Installation bearbeitet wurden?

Chr.K.:
Also die Sammlung umfasst ca. 4000 Filmdokumente, und das Forschungsprojekt der Encyclopaedia Cinematographica begann als Vorhaben, die gesamte Welt abzubilden. Dabei sollten die Phänomene zunächst unterteilt werden, um eine Matrix zu erhalten, in die die Tierarten aufgenommen werden sollten und weitere Unterteilungen waren für die Botanik, die Ethnologie und materiale (?) Forschung vorgesehen. Dabei ging es darum, die Welt in Vorgänge, das heißt in Bewegungsvorgänge aufzuteilen, und für jeden dieser Vorgänge einen zweiminütigen Film aufzunehmen. Damals hatte man gedacht, dass man schließlich, wie die klassischen Enzyklopädien, Hunderttausende oder Millionen Einträge haben und sich vervollständigen könnte. Man ist dann nur bis 3000 so und so viel gekommen; das ist die endgültige Zahl [des ursprünglichen Projekts]. Ich habe jetzt versucht, mich dieser Idee selbst zu nähern, und letztendlich habe ich eine Auswahl getroffen, die es ermöglicht, das enzyklopädische Konzept überhaupt sichtbar zu machen - du kannst Archive nicht sehen, wenn du sie vollständig zeigst.
Ich bin dabei so vorgegangen, dass ich mich auf die Zoologie, mit der das wissenschaftliche Projekt angefangen hat, beschränkt habe. Dort habe ich wiederum Filme aus der Anfangszeit ausgewählt, in denen die zweiminütige Aufnahme noch recht konsequent einen einzigen Bewegungsablauf zeigt. In der Bearbeitung habe ich dann Loops hergestellt, die sich wiederum auf eine Bewegungseinheit beschränken und so das Verfahren der Bewegungsstudie zuspitzen. Um dabei dennoch dem vorgefundnen Bildmaterial gerecht zu werden, habe ich Filme ausgewählt, die ihrerseits bereits auf diese Weise vorgehen; in denen, auch wenn mehrere Einstellungen aufeinanderfolgen, doch jede einzelne einem einzigen Bewegungsablauf gilt. Ich sehe da schon auch eine Art Verantwortung gegenüber dem Material und denke, dass diese Haltung der frühen Filme am krudesten den Gedanken des Archivs umsetzt: ein Film - ein Tier - eine Bewegung.
Diese Überlegung bestimmte die Auswahl und zugleich ließ sie dem Zufall Raum. Bei dem Charité-Projekt hatte ich alles gesehen, was ich kriegen konnte - die 4000 Filme habe ich nicht alle gesehen. In die Auswahl spielten zudem eine Reihe von Vorüberlegungen hinein; z.B. kann man in der begrenzten Vielfalt von Tieren und Bewegungen das Motiv der Arche Noah sehen.

R.F.
Dieser sehr bestimmte und zugleich assoziativ-spielerische Umgang mit dem Aspekt der weltumfassenden Sammlung findet sich wieder in der Installation. Wenn man den Raum betritt, erscheint sie zunächst als Gesamtheit und ordnende Struktur: die Monitore auf ihren Sockeln sind als gleichwertige Einheiten in regelmäßiger Anordnung auf der Fläche des Bodens platziert. Andererseits ist die Installation begehbar und muss begangen werden, wenn man sie sehen will. Dabei verschiebt sich die Perspektive. An die Stelle des geordneten Ganzen treten die vielen einzelnen, die Monitore. Man sieht sich von ihnen umgeben, und die Sockel bieten sich als Sitze an. Sie fordern dazu auf, jeweils ein bestimmtes Video, ein bestimmtes Tier intensiv zu betrachten. Dieses Gegenüber zu dem einzelnen Tier hat dann mitunter etwas von einer dialogischen Beziehung, die den enzyklopädischen Gedanken der Sammlung oder des Archivs zu konterkarieren scheint.

Chr.K.
Ja, da hast du verschiedene Ebenen der Betrachtung sehr schön formuliert. Sie sind ein wichtiger Hintergrund für meine Arbeit mit den Bildern. Es gibt einmal den Rahmen quasi des Geschehens in dem Bild, also das was du vorfindest, das Objekt in seiner Umgebung. Dann gibt es das Filmbild, wo du den Rahmen mitdenkst - in dem Fall kann das der Fernseher sein. Dann gibt es eine andere Ebene, auf der du der Beobachter bist, und dann gibt es noch den totalen Blick von oben, wo du das Ganze sehen kannst. All diese Ebenen sind möglich, und diese Ebenen haben sehr viel mit der Betrachtung von Objekten, mit deren Einordnung und Erinnerung zu tun. Sie spielen dort eine Rolle, wo es um Objektivität und Wissenschaftlichkeit geht und sind gleichzeitig Formen der Intimität und Subjektivität. Beide Seiten sind, denke ich, nicht zu trennen und kommen immer in dieser Doppelgestalt daher. Deshalb ist die ganze Arbeit so angelegt, dass ich im Grunde Dinge, die für eine sehr objektive Sichtweise gedacht sind, in einen musealen Raum bringe und mit dem, was die Dokumente mitbringen, etwas neues herstelle. Das passiert dann auf den Inseln, dort wo man sich hinsetzt und plötzlich direkt mit dem Tier konfrontiert ist. Das ist schon auch eine körperliche Konfrontation besonders bei den Tieren, die so ähnlich aufgebaut sind wie man selber: die Bewegungen der Beine und Flügel spürt man so und hat einen fast kindlichen Bezug dazu. Aber das ist normal bei Tieren. Gleichzeitig ist ganz klar -das ist ein Konstrukt von Tier.
Also ich interpretiere mich jetzt hier selbst, was ja eigentlich nicht meine Aufgabe ist - aber das ist, denke ich, das, was die Intensität dieser Arbeit ausmacht. Da ist eine Struktur, in den Raum gebracht, die man von außen betrachten kann, die aber selber noch kein Objekt ist. In diese Struktur taucht man dann ein und stellt selber Bezüge her; man bewegt sich zunächst in ihr und kann sich auf diese Inseln einlassen.

Ein anderer Aspekt ist die Frage, warum man sich jetzt mit Archiven, gerade mit Filmarchiven, beschäftigt. Es ist so, dass solche Sammlungen oder Filmarchive keine Funktion mehr haben. Sie sind so etwas wie verlassene Bibliotheken. Der Film hat als primäres Medium, als Erkenntnismedium, ausgespielt. Und damit werden solche Räume - ich nenne sie jetzt Räume, obwohl sie eigentlich eher abstrakte Objekte sind - weltweit für eine neue Nutzung frei; und sie müssen auch anders gedeutet werden. Dass der wissenschaftliche Film abgelöst wird von anderen Bildgebungsverfahren, hat sehr viel mit Erkenntnis, mit Sehen zu tun. Es geht um veränderte Formen der Wahrnehmung von Objekten und Körpern. Dieses wissenschaftliche Encyclopaedia-Projekt ist auch deswegen so prädestiniert dafür, diese Wandlung zu zeigen, weil sich in ihm die Faszination des Gedankens ausspricht, die Welt abbilden zu wollen, an Hand ihrer Bewegungsvorgänge, was wiederum total dem Paradigma des Films entspricht.

R.F.
Heißt das nicht gleichzeitig, dass dieser Bedeutungsverlust des Films als wissenschaftlich tragfähigem Medium eine besondere Chance ist; insofern dieses Freiwerden eines Mediums historisch gesehen relativ schnell ging und nicht weit zurückliegt? Wenn man so etwas wie eine kulturgeschichtliche Archäologie der Medien vor Augen hat, dann ist der Film noch sehr frisch, als Kunstform noch immer aktuell und aus der Wissenschaft gerade erst verschwunden. Im Kontrast zum Beispiel zur wissenschaftlichen Buchgrafik, wo speziell der Kupferstich für etwa zwei Jahrhunderte eine enorm wichtige Bildttechnik war, heute aber wirklich antiquiert ist. Hier kommt, denke ich, Deinem Umgang mit dem Film eine bestimmte Aktualität zu. Selbst die älteren Filmdokumente in der Arbeit über die Filme der Charité, werden noch an der Grenze zum Historisch-Werden wahrgenommen. Mit Chance meine ich also, dass hier nicht nur eine weitere Schicht in der Geschichte der Sammlungen und Archive erkundet wird, sondern jene Schicht, die noch zu großen Teilen offenliegt.

Chr.K.
Genau, ich denke, bei der Filmsammlung oder dem Filmarchiv geht es zugleich um ein Geschichtsobjekt und ein Gegenwartsobjekt. Das eine ist es noch nicht, das andere nicht mehr; und damit bietet sich hier eine besondere Möglichkeit. Wir denken ja noch vielfach so - in Bezug auf Körper, aber auch in Bezug auf Dinge und deren Ordnung. Wir denken da noch sehr stark in einer Struktur, die wir jetzt erst anfangen können zu besprechen, weil wir sie jetzt erst als solche wahrnehmen können. Und das ist ein Moment, wo es schwierig ist, überhaupt eine Sprache oder einen Zugang zu finden, wo aber unglaublich viel drinliegt, was Erkenntnis überhaupt betrifft. Das macht es auch für mich so interessant, obwohl sie [Archive?] nicht ganz gegenwärtig sind, obwohl die Dokumente an sich irgendwo staubige Wissenschaftsfilme sind. Es liegt ein ungeheueres Potential darin, in der Arbeit mit diesen Materialien erneut unser eigenes Denken anzusprechen.

 

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