Die Aktualität des Archäologischen
in Wissenschaft, Kunst und Technik
von Knut Ebeling
Kapitel I.
Kapitel II.
Kapitel III.
Kapitel IV.
Kapitel V.
Anmerkungen
Unter den aus heutiger Sicht prominentesten Einsendern auf die Preisfrage der
Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften vom 24.1.1788 Welches
sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs
Zeiten in Deutschland gemacht hat? findet sich eine Schrift, die 1791 verfasst
und zwei Jahre später redigiert wurde1 - einen Stichtag gab es offenbar
für derartige Preisausschreiben nicht, man war geduldiger mit den Einsendern,
ihre Fragen wogen schwerer. Der Absender, der sich mit der Abfassung derart
Zeit gelassen hatte, war kein geringerer als Immanuel Kant. Der überraschte
die Juroren in seiner Antwort, indem er den Begriff einer "philosophischen
Archäologie" in die Geschichte des Wissens einbrachte - ein Begriff,
der 1790 noch exotischer geklungen haben mag, als er es vielleicht heute tut,
konnte "Archäologie" zu diesem Zeitpunkt doch nicht viel mehr
als die Entdeckung von Pompeji bedeuten, nach wohin Kant bei seiner berühmten
Sesshaftigkeit sicher nicht gereist war. Dennoch, auf welche Weise auch immer
die Kunde von der Archäologie nach Königsberg gelangt war: Mit diesem
Begriff stellte Kant nicht nur seine Juroren, sondern auch die parallelen Geschichten
von Philosophie und der beginnenden Archäologie vor ein Problem, das das
20. Jahrhundert nicht nur nicht lösen konnte, sondern bestenfalls erst
in aller Schärfe zu stellen wusste. Denn seit Kant - viel länger existiert
der Begriff der Archäologie ja noch nicht -, seit Kant werden unter dem
Stichwort der Archäologie Zweifel an einer rein narrativ orientierten Geschichte
in dieselbe eingetragen. Wer innerhalb oder außerhalb der Philosophie
über die Konstruktion der Vergangenheit nachgedacht hat, hat dies oft genug
an einem Begriff von Archäologie festgemacht. Spätestens seit Freuds
"Archäologie der Seele", Benjamins "Urgeschichte des 19.
Jahrhunderts" im Passagen-Werk und natürlich seit Foucaults Archäologie
des Wissens von 1969 steht die Kantische Idee einer "philosophischen Archäologie"
wieder - oder immer noch - auf der Tagesordnung der Wissensverteilungsinstanzen.
Die Archäologie steht derzeit hoch im Kurs - wenn auch nicht unbedingt
bei den Archäologen und in der Archäologie, von denen man dies ohnehin
annehmen sollte, so doch in diversen anderen Gebieten des Wissens und Forschens.
Auch und gerade in den nicht-archäologischen Bereichen sorgt die Archäologie
oder das Archäologische derzeit für Aufsehen. Zunächst natürlich
im Bereich der Wissenschaft selbst: Nach Kant und Foucault, auf den Spuren von
Freud und Benjamin ist innerhalb der transdisziplinären Kulturwissenschaft
in den letzten zehn Jahren ein reger Diskurs über das Archäologische
bzw. ein Diskurs des Archäologischen zu verzeichnen, der sich auf den ersten
Blick einer Vielzahl von technik- und medienhistorischen Forschungen verdankt.2
Von Archäologien der Subjektivität bis zu Archäologien der Arbeit,
von der Archäologie von Schreibtischoberflächen bis hin zur Archäologie
des Ostereis reicht das Angebot. Para-archäologische Forschungsprojekte
schießen in dieser nachösterlichen Zeit wie Pilze aus dem Boden.
Und das Ende dieser Liste ist nicht mit dieser und nicht mit der nächsten
Passionszeit der Geisteswissenschaft gekommen. Parallel dazu häufen sich
Symposien und Tagungen zu den Themenkomplexen Sammeln, Speichern und Erinnern,
auf denen Historiker und Philosophen, Literaturwissenschaftler und Archäologen
plötzlich über Archive reden wie früher einmal über Texte.
Denn ganz gleich wie man zu diesen extraterrestrischen Ansiedlungen von Archäologie
außerhalb des Planets der Disziplin auch stehen mag; die Archäologie
ist - von den meisten Archäologen unbemerkt - außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches
zur Leitwissenschaft desjenigen transdisziplinären Diskurses geworden,
der sich derzeit anschickt, die Grenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften
zu überwinden. Interessieren soll an den erwähnten Aktivitäten
zunächst nur die Tatsache, dass all die Archäologien der Narration
und der Navigation oft genug mit einem Begriff der Archäologie spielen,
der als modisch-methodische Metapher, als Kampfbegriff gegen eine verkrustete
Geisteswissenschaft eingesetzt wird. Denn falls diese para-archäologischen
Forschungen etwas gemeinsam haben, dann ist es der Umstand, dass sie als Kritik
der geisteswissenschaftlichen Exploration der Vergangenheit auftreten, der sie
ein wichtiges Element hinzufügen: die Einbeziehung der technischen und
medialen Bedingtheit auch des literarischen, künstlerischen und philosophischen,
kurz des geisteswissenschaftlichen Wissens. Die kulturwissenschaftlichen Archäologien
gehen von materiellen und medialen Hinterlassenschaften aus, ebenso wie die
Archäologie versuchen sie, die Vergangenheit aus ihren materiellen Speichern
und Trägern auszulesen und nicht etwa aus der Bewegung des Geistes. Das
kann dann ganz konkret so aussehen, dass die geisteswissenschaftlichen Größen
als Fussnoten von Technik- und Mediengeschichten auftauchen; dass Kafka beispielsweise
als Fussnote der Geschichte des Postsystems auftaucht, die französische
Salonmalerei als Anmerkung zu einem neuen Geldüberweisungssystem und der
gesamte Impressionismus als Randerscheinung der Geschichte des Radios verschlagwortet
wird.
Es ist anzunehmen, dass diese weitreichende methodische Neuorientierung auf
eine veränderte Befindlichkeit gegenüber Geschichte reagiert; offenbar
hat die Erfahrung, dass die Geschichte sich nach der Öffnung diverser Archive
plötzlich ebenso neu darstellt wie etwa nach der Auswertung einer Ausgrabung,
den Blick auf die Geschichte entscheidend verändert: Seit einigen Jahren
gewinnt die Auffassung Oberhand, dass nicht nur Gegenwart und Zukunft Gegenstand
einer komplexen Konstruktion sind. Auch das Wissen um die Vergangenheit erscheint
zunehmend als Ergebnis einer komplexen kulturellen und technischen Konstruktion;
tatsächlich hat es mehr und mehr den Anschein, als ob unser Bild der Vergangenheit
einen Effekt der Überlagerung von schriftlichem und nicht-schriftlichem
Wissen darstellt, von historiographischen und technischen Verfahren seiner Aufbereitung
und Speicherung.
In diesem Sinne wird in letzter Zeit neben dem allgemeinen Interesse für
die Vergangenheit verstärkt ein Augenmerk auf die technischen Institutionen
und medialen Agenturen der Vergangenheitsbildung und -überlieferung geworfen.
Diese Tatsache ist insofern erstaunlich, als sich das Verständnis der Öffentlichkeit
traditionell durch das Gegenteil auszeichnet: durch ein unvermitteltes Bild
der Vergangenheit, das direkt auf Geschichte hinaus will, ohne dabei die Techniken
und Medien ihrer Konstitution zu berücksichtigen. An der Basis dieser Revision
steht aber die Erkenntnis, dass Techniken und Medien nicht die externen Träger
des kulturellen Wissens um die Vergangenheit sind, sondern zu deren primären
Produzenten zählen. Wenn beispielsweise jede Digitalisierung auf der Tatsache
beruht, dass der Träger die Information mitbeeinflussen und vielleicht
mitbestimmen kann, dass das Archiv das Archivierte definiert, dann muss jede
Information und jedes Wissen aus diesem Archiv - und wer arbeitet heute noch
ohne oder außerhalb des Archivs - über dieses Archiv mitinformieren,
mitberichten, mitwissen. Während jede dieser Umwälzungen und Umstellungen
die Gebundenheit von Wissen und Daten an bestimmte Speicher und Datenträger
ebenso deutlich macht wie des archäologischen Fundstücks an den Fundort
und die technische Modalität seiner Ausgrabung, scheint umgekehrt jede
wissenschaftliche Vorgehensweise obsolet, die ein Wissen nicht an diese Materialitäten
zurückbindet. Denn genau dies tun die Wissenschaftler, die sich heute der
Archäologie verschreiben: Sie verfahren innerhalb einer vollendeten Materialität,
innerhalb derer jeder Schritt, der zu einem Wissen führt, materieller Bestandteil
des auf diese Weise konstituierten Wissens wird. Sie fragen, wie eine bestimmte
Geschichte entstanden ist und eine andere nicht, welche Speicher der Geschichte
dazu gedient haben, diese Geschichte aus ihnen auszulesen und keine andere.
Kurz, man fragt, welche Archive mit welcher Geschichte verknüpft sind.
Wie haben die Archive die Schreibung der Geschichte beeinflusst und möglicherweise
determiniert? Welche Speicher führen zu welchen Formen des Geschichtsverständnisses?
Welches Aufschreibesystem zeitigt welche Geschichte und welche Techniken haben
welche Kunstgeschichte hervorgebracht? Das sind die Fragen, die im Zuge der
Aktualität des Archäologischen gestellt werden.
Man kann sich denken, dass eine derartig radikale methodische Neuorientierung
institutionell keineswegs folgenlos blieb. Was man sich vielleicht weniger denken
kann, ist der Umstand, dass die Archäologie oder wenigstens der Begriff
des Archäologischen an der kulturwissenschaftlichen Umtaufung ganzer Philologien
in Technik- und medienhistorische Abteilungen der Wissenschaftsgeschichte keineswegs
unbeteiligt gewesen ist.3 Die Archäologie oder das Archäologische waren
nicht unschuldig an jenem beispiellosen Exorzismus alles Geistigen aus den Geisteswissenschaften,
der seit der Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften4 bereits 1980
zum Slogan wurde. Die Beihilfe an dieser Vertreibung ist also auch in deren
vollkommenen Unwissen der Archäologie anzulasten - oder vielmehr den immensen
Ausmaßen eines blinden Fleckes, den die technisch-mediale Ignoranz geisteswissenschaftlichen
Vorgehens bislang dargestellt hatte. Hätte man aus geisteswissenschaftlicher
Sicht die Materialitäten des Wissens nicht derart achtlos behandelt, brauchte
man sich über die derzeitige Rache der bis an die Zähne bewaffneten
kulturwissenschaftlichen Rechner und Programmierer nicht zu wundern.
Die jüngsten medientechnischen Anleihen stellen jedoch nur das jüngste
Glied einer ganzen Reihe von Entlehnungen aus der Archäologie dar: Es gab
bereits eine archäologisch imprägnierte Phänomenologie, eine
archäologisch imprägnierte Diskursanalyse und natürlich mit Freud,
dem passioniertesten Hobbyarchäologen seines Jahrhunderts, eine archäologisch
imprägnierte Psychoanalyse. Dieser Aufzählung lässt sich zum
einen entnehmen, dass die Archäologie wissenshistorisch stets diejenige
Materialität bereitstellte, die dann von den anderen Disziplinen psychoanalytisch
oder phänomenologisch, diskursanalytisch oder medienhistorisch5 ausbuchstabiert
wurde. Zum anderen lässt sich an der Aufzählung ablesen, dass es nicht
die am wenigsten innovativen Anstöße waren, die im 20. Jahrhundert
von der Archäologie ausgingen. Wenn es um die Formation neuer geisteswissenschaftlicher
Avantgarden ging, hat man sich gern im Fundus der Archäologie bedient:
Die Archäologie hat bei entscheidenden wissenshistorischen Schüben
des 20. Jahrhunderts ihre Finger mit im Spiel gehabt hat - ob sie es wollte
oder nicht. Insofern ist hier auch die Geschichte der Risiken und Nebenwirkungen
zu erzählen, zu denen der ohne Konsultation eines Archäologen eingenommene
Genuss der Archäologie verführt.
Zu diesen Genüssen zählt für eine nicht unwesentliche Zahl -
nicht an Wissenschaftlern, so doch an fröhlichen Konsumenten - zweifellos
jene ungleich harmlosere Inflation von Archäologie im Internet oder im
Kino, als Werbeblase oder als Comic-Strip. Eine nicht abreißende Produktion
von Filmen wie Indiana Jones, Die Mumie, Die Mumie kehrt zurück oder Lara
Croft, die sich opulenter archäologischer Settings bedienen, demonstriert,
dass die veranschlagte Aktualität der Archäologie keineswegs auf den
Bereich der Wissenschaft beschränkt ist. Hinzu kommen Internet-Angebote
und Computerspiele wie Siedler oder Age of Empires, in denen die Archäologie
in neuem Gewand ihren Auftritt hat. Und damit nicht genug.
Die Aktualität des Archäologischen, die allem Anschein nach jene Aktualität
des Ästhetischen ersetzt hat, von der man noch Anfang der neunziger Jahre
gesprochen hat, jene Aktualität des Archäologischen wäre auf
breiter Front nur rudimentär beschrieben, hätten die Künste seit
einigen Jahren und Jahrzehnten nicht ihren Beitrag dazu geleistet. Auch in der
zeitgenössischen Ästhetik - nicht nur der der Computerspiele - ist
also eine gesteigerte Nachfrage nach Archäologie und allem Archäologischen
zu vermelden. Die Inflation des archäologischen Vokabulars ist also auch
in der Welt der Kunst angekommen - und keineswegs nur in der Kunst der Klassik.
In raunenden Katalogtexten wird gern von einer Archäologie des menschlichen
Blicks oder einer Archäologie des abendländischen Tafelbildes gesprochen.
Und im Rascheln der Pressetexte taucht derzeit der Begriff der Archäologie
an Stellen auf, an denen man ihn am allerwenigsten vermutet hätte.
Die archäologische Ästhetik lässt sich jedoch keineswegs auf
das Raunen der Rhetorik begrenzen. Tatsächlich ist neben das hinlänglich
bekannte Format der archäologischen Großausstellung in jüngster
Zeit noch ein anderer, wenn man so will zeitgenössischer archäologischer
Ausstellungstyp hinzugetreten: Die Archiv-Ausstellung. Denn auch zeitgenössische
Künstler diverser Generationen zeigen ein reges Interesse an allem Archäologischen.
Sie präsentieren in ihren Ausstellungen zwar noch nicht, was sie an Fundstücken
aus der Prähistorie zu Tage fördern, dafür aber um so mehr, was
sie an Orten finden, die für sie scheinbar ebenso unausdenkliche Vorzeiten
darstellen: Ausstellungen von Fundstücken aus vergangenen politischen Systemen
(wie der DDR) und von untergegangenen Orten (wie der eigenen Kindheit) erfreuen
sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit. Daneben gesellen sich Funde
aus der eigenen Vorzeit oder der Zeit der Eltern - die für die zeitgenössische
Kunst in weiter Ferne so nah zu sein scheinen wie dem Archäologen seine
Antike. Auch die Künstler sehen sich als Archäologen untergegangener
Zeiten, die sie nicht mehr verstehen. Und insbesondere als Archäologen
ihrer eigenen Zeit, die ebensolche Geheimnisse zu bieten hat wie die allerfernsten
Vergangenheiten.
Wie man diese archäologische Betriebsamkeit auch bewerten mag - jedenfalls
sind die archäologischen Verfahren der Spurensicherung6 aus der zeitgenössischen
Kunstproduktion nicht mehr wegzudenken. Allerortens geht es um das Gedächtnis
der Kunst und des Künstlers, um die bloße und möglichst subjektfreie
Verzeichnung der reinen Materialität des Objektes, ihre monumentale hardware,
kurz: um eine größtmögliche Verfremdung dessen, was einmal Kunstwerk
hieß - um eine Anmutung also, die sich möglichst wenig von dem unterscheidet,
was die Ausgräber von vergangenen Zeiten zutage gefördert haben. Man
erhält in diesen Archiv-Ausstellungen zuweilen den Eindruck, als sei der
Künstler Freuds "reisender Forscher", der "in eine wenig
bekannte Gegend [gelangt], in welcher ein Trümmerfeld mit Mauerresten,
Bruchstücken von Säulen, von Tafeln mit verwischten und unlesbaren
Schriftzeichen sein Interesse weckte"7 - ein Zitat übrigens aus Freuds
Ätiologie der Hysterie von 1896, hinter der nach der These Richard Armstrongs
niemand anders steckt als Freuds archäologischer Mentor Emanuel Löwy
und dessen vorderasiatische Expedition 1882 nach Gölbasi/ Trysa.
Zeugen für diese artistischen "Trümmerfelder mit Mauerresten
und Bruchstücken von Säulen" - die Freud mit archäologischer
Hilfe natürlich eher in den Untiefen der Seele und des Traums aufzufinden
glaubte - sind zum einen große Überblicksausstellungen wie etwa Deep
Storage. Arsenale der Erinnerung (1997) oder Die Römische Spur. Künstlerische
Recherchen zur Aktualität der Antike (1998), beide in Berlin. Ein naheliegendes
Beispiel derartiger Archiv-Künste ist sicher auch die Reihe "Bild-Archive"
in den Berliner Kunst-Werken (2000-2002).
In Kunst und Wissenschaft ist also gleichermaßen von einem sonderbaren
Amalgam aus Archäologie und Gegenwärtigkeit zu berichten, von archäologischen
Verfahren, die sich nicht auf die Erforschung der Vergangenheit, sondern im
Gegenteil auf die Ausgrabung der unmittelbaren Gegenwart richten. Dieser Befund
einer "Archäologie der Gegenwart"8 ist es auch, der die archäologischen
Künste des Archivs von jeder klassizistischen Antike-Rezeption unterscheidet.
Während die Antike-Rezeption ein humanistisches Ideal aus der Vergangenheit
in die Gegenwart beamen wollte, so verkehren diegegenwärtigen Künste
des Archivs diese Bewegung in ihr Gegenteil: Sie versuchen, mit dem Instrumentarium
zur Entdeckung der Vergangenheit die unmittelbare Gegenwart zu bergen. Es macht
die ganze Paradoxie dieses Unterfangens aus, dass der Archäologie offenbar
von Künsten und Kulturwissenschaften gleichermaßen die Fähigkeit
eingeräumt wird, diejenige Gegenwart zu erkennen, die sie eigentlich per
Definition ausschließt.
Gerade in der a-subjektiven und technisch anmutenden Archäologie vermutet
man seltsamerweise ein Potential und ein Instrumentarium zur Erkenntnis der
unmittelbaren Gegenwart: Man bedient sich heute archäologischer Verfahren,
um die subjektiven Schleier von der Gegenwart zu reißen. Die Gegenwart
selbst soll so anonym und menschenleer dargestellt werden, als wäre sie
gerade von den Ausgräbern kommender Tage entdeckt worden. Dieser Befund
einer weitverbreiteten Menschenleere, einer eigenartigen Verlassenheit, eines
merkwürdigen Verschwindens alles Menschlichen aus den künstlerischen
und wissenschaftlichen Archäologien weist darauf hin, dass der archäologische
Diskurs sich möglicherweise als weniger harmlos entpuppt, als es zunächst
den Anschein hatte - meint "Archäologie der Gegenwart" in diesem
Zusammenhang doch nichts anderes als die Eliminierung dessen, der diese Gegenwart
stiftet: die Eliminierung des Menschen. Anders gesagt: Die Archäologie
ist der Agent der Ausschaltung des Verzerrungsfaktors namens Mensch aus Kunst
und Wissenschaft, sie signalisiert - spätestens seit Foucault - eine Wissenschaft
ohne oder vom Verschwinden des Menschen. Während die anderen Wissenschaften
in ihrer textvernarrten Betriebsblindheit die Gegenwart nicht in ihrer anonymen
und menschenleeren Form erkennen, wird ausgerechnet die Archäologie zum
Anwalt einer anderen Erkenntnis und einer neuen Wissenschaft, die einmal Psychoanalyse
hieß und heute Mediengeschichte.
Man ist natürlich versucht, die archäologische Betriebsamkeit in Künsten
und Wissenschaften mit dem naheliegenden Argument abzutun, dass es hier lediglich
um metaphorische Belegungen eines Begriffs geht. In der Tat scheint man es mit
diversen Vereinnahmungen eines Begriffs zu tun zu haben, der zu einer beliebigen
Begriffmünze zu verkommen droht, wie es Wolfgang Ernst9 jüngst von
dem Begriff des Archivs befürchtete. Was hat die Tatsache, dass Archäologie
zur zentralen kulturwissenschaftlichen Chiffre für den konstruierten Zustand
von Geschichtswissen geworden ist, ja in ambivalenter Weise zum kulturwissenschaftlichen
Kampfbegriff avancierte, mit dem Geisteswissenschaftler ebenso als textverirrte
Narren hingestellt werden wie Philosophen als spekulative Irrgänger weitab
von den Bedingungen des Realen - was hat dieser massive Einsatz der Archäologie
an allen Fronten des Wissens und Gestaltens mit der Archäologie selbst
zu tun? Handelt es sich nicht einfach nur um einen Irrtum, um ein Missverständnis,
wie viele Archäologen sicher meinen? Spielen die para-archäologischen
Aktivitäten an allen Fronten tatsächlich nur mit der Archäologie,
wie es, so der Verdacht, Michel Foucault womöglich tat, als er 1966 zum
ersten Mal den Begriff der Archäologie verwendete, um eine neue "Methode
der Beschreibung des Denkens"10 zu bezeichnen? Oder zeitigt die archäologische
Vorstellungswelt tatsächlich ernsthafte Konsequenzen, wie es uns nicht
nur Walter Benjamins "Urgeschichte des 19. Jahrhunderts", sondern
die gesamte wissenschaftliche Avantgarde aus neuen Wissenschaften, angefangen
von der Psychoanalyse bis hin zu Technik- und Mediengeschichte derzeit demonstriert?
Und wenn dem so wäre: Was wäre der sinnfällige Mehrwert, den
die Rede von der Archäologie oder dem Archäologischen in den Künsten
und Kulturwissenschaften hervorbringt? Welches ist das Wissen, das mit diesem
Begriff transportiert wird, mit dieser auratischen Rede vom Archäologischen
und der Archäologie - einer Archäologie, die für die Geisteswissenschaftler
vergangener Tage noch vor kurzer Zeit so obsolet war, dass unter Kunsthistorikern
diverse Archäologen-Witze kursierten. Worauf beruht also jene derzeitige
Aura der Archäologie, die uns an den unterschiedlichsten Orten der zeitgenössischen
Kultur begegnet?
Tatsächlich verspricht der Rekurs auf die Archäologie oder das Archäologische
einen Zugang zum harten Kern der Dinge, die sich da unabweislich im Boden befinden
und zu denen der Archäologe einen privilegierten Zugang hat. Wer heute
außerhalb der Archäologie von Archäologie spricht, suggeriert,
dass er durch den Schleier der Erscheinungen hindurchtritt, um zum Wesen, zum
tatsächlichen Kern der Dinge vorzustossen. So evoziert der derzeitige kulturwissenschaftliche
Rekurs auf die Archäologie, dass man vorbei an den weichen Interpretationen
noch weicherer Subjekte hin zum harten Kern, zur hardware des Wissens kommt,
dass man den Schleier des Wissens durchstößt, um auf jenen unabwendbaren
Grund des Wissens zu kommen, den bereits Heidegger im "Gestell" der
Technik vermutete.11 Während sich die kulturwissenschaftliche Archäologie
in der Tradition Foucaults auf diese Weise unverkennbar in eine Frontstellung
gegenüber Hermeneutik und Anthropologie gleichermaßen manövriert,12
legt sie - noch über die Überwindung des Subjektes hinaus, das mitsamt
seiner Vergangenheit zum Teil des "Gestells" der modernen Technik
wird - etwas nahe, was den Geisteswissenschaften der letzten Dekaden mehr und
mehr abhanden gekommen zu sein schien: einen festen, subjektunabhängigen
Gegenstand, der wie der berühmte Stein dem Spaten beharrlich widersteht.
Jeder Archäologie geht ihr Gegenstand als "Ding an sich" voraus;
über dessen subjektive Konstitutionsbedingungen ist sie erhaben; sie ist
erst nach ihm und in seiner Folge entstanden. Ohne gefundene Artefakte keine
Archäologie und ohne Medien keine Mediengeschichte. Auf diese Weise schalten
die archäologisch operierenden Kulturwissenschaften jede Erkenntnistheorie
ebenso cool aus wie jene selbstquälerischen Selbstbegründungen des
Geistes, die dessen Wissenschaft von Anfang an begleiten. Stattdessen begegnen
sie derlei überkommenen Katz und Maus-Spielchen mit derselben leicht mitleidigen
Geste, mit der Physiker und Mathematiker immer schon Philosophen und andere
Geisteswissenschaftler belächelten. Während in der Denkfigur vom harten
Kern des Wissens positivistisches und szientistisches Denken aufeinandertreffen,
hat es tatsächlich den Anschein, als ob hier - neben dem Schliemannschen
Mythos der Ausgrabung von etwas Großartigem und Unerwarteten - Motive
aus dem kalten Krieg zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern wieder auferstehen
würden: Härte der Materialitäten gegen die Weichheit der Interpretation,
Substanz des Kerns gegen die trügerischen Oberflächen, hardware gegen
software, Archiv gegen Erzählung, Archäologie gegen Geschichte, Positivismus
gegen Rationalismus, Naturwissenschaft gegen Geisteswissenschaft, ja sogar Philosophie
gegen Wissenschaft. Abgesehen davon, dass man den archäologischen Kulturwissenschaften
tatsächlich den Status einer wissenschaftlichen Avantgarde zuerkennen kann,
den sie selbstbewusst für sich beansprucht, kommt es in der gegenwärtigen
Situation nicht darauf an, alte Gräben zu vertiefen und zementierte Positionen
gegeneinander auszuspielen. Heute wäre es vielmehr wichtig, im Sinne einer
Archäologie dieser Archäologien und aller Archäologie, die Heraufkunft
dieses archäologischen Diskurses und dieser archäologischen Methodik
zu rekonstruieren. Denn tatsächlich gibt es gute Gründe für die
Annahme, dass die Techniken und Medien, die Speicher und Datenträger, die
hinter dem kulturell tradierten Wissen durchschimmern und die wir hier der Geläufigkeit
halber mit dem Begriff des Archivs abkürzen, nichts anderes sind als derjenige
"harte Kern" der Geschichtskonstruktion, den die Archäologie
verspricht: Tatsächlich stellt die Archäologie mit ihren Ausgrabungstechniken
und Bergungsverfahren ein neues Dispositiv, ein neues Gestell zur Gewinnung
eines neuen Wissens um die Vergangenheit bereit.
Das von der Archäologie hervorgebrachte Wissen ist im ontologischen Sinne
neu, weil es eines ist, das ohne sie nicht wäre. Man hat es in der Archäologie
nicht, wie beispielsweise in der Geschichte, mit der Erforschung von Dokumenten
zu tun, die auch ohne sie existieren würden; die Archäologie erforscht
Monumente - um auf die berühmte archäologische Unterscheidung Foucaults13
zurückzukommen - die sie auch selbst hervorbringt und die sonst dem Verschwinden
anheimfallen würden. Weil sie selbst die Objekte birgt, die sie untersucht,
ist die Archäologie, mit Heidegger gesprochen, eine Weise des Entbergens
par excellence. Die Archäologie ist eine Entbergungstechnik par excellence
zur Entbergung von etwas, das sonst verborgen bliebe. Dieser unscheinbare Befund
ist wichtiger als man meinen möchte, denn er bedeutet nichts anderes, als
dass man in der Archäologie nicht von der Technik abstrahieren kann. Weil
die gesamte Archäologie auf Weisen der Entbergung der Vergangenheit aufsetzt,
weil ohne das profane Geschehen der Ausgrabung keine Archäologie wäre,
ist jede ihrer Aussagen genau so diskret technikförmig, wie Heidegger dies
von jedem modernen Wissen behauptet.
Denn in der Archäologie hat man es mit einer fundamentaleren Verborgenheit
zu tun als beispielsweise in der Geschichtswissenschaft. Die Vergangenheit,
mit der es die Archäologie zu tun hat ist eine, die nicht nur verschwunden
ist, sondern die zumeist auch zerstört ist. Alle Archäologie geht
von einer Abwesenheit einer Vergangenheit aus, die zwar abwesend genug sein
muss, um überhaupt nach ihr forschen zu können, die aber auf der anderen
Seite anwesend und präsent genug sein muss, damit Archäologen noch
etwas finden können. Archäologen suchen also eine Vergangenheit, die
verschwunden genug sein muss, um überhaupt das Verlangen nach ihrer Archivierung
zu wecken und die aber zugleich noch anwesend sein muss, um sie nicht zur Arbeitslosigkeit
zu verurteilen. Kurz, die Archäologie ist durch einen abwesenden und nur
noch in Spuren hinterlegten Gegenstand definiert, den sie dem völligen
Verschwinden entreißt. Und ist ihr Gegenstand glücklicherweise einmal
nicht so abwesend und zerstört, wie dies zumeist der Fall ist, dann zerstört
die Archäologie diesen spätestens in dem Moment, in dem sie ihn auffindet
und ausgräbt. Denn die Ausgrabung eines Gegenstandes bedeutet zugleich
seine Vernichtung, seine Bergung bedeutet seine Zerstörung - was Freud
in einem seiner luzidesten Momente auch von den psychischen Traumata sagte,
die er in den Tiefen der Psyche seiner zumeist weiblichen Patientinnen ausgrub.14
Überträgt man diese zentrale archäologische Einsicht aus der
psychoanalytischen Praxis wieder zurück auf die Archäologie, so wird
sichtbar, dass sie nicht nur aus dem Grund Entbergung ist, weil sie Gegenstände
findet, die sonst auf immer verschwunden wären. Die Archäologie ist
vor allem deshalb Entbergung, weil sie den Gegenstand neu hervorbringt, den
sie zuvor zerstören musste, weil sie ihn in diesem Zerstören umschafft,
neu schafft, anders hervorbringt. In dem Sinne, in dem Heidegger von der modernen
Technik sagt, dass die in der Erde "verborgene" Energie "aufgeschlossen,
das Erschlossene umgeformt, das Umgeformte gespeichert, das Gespeicherte wieder
verteilt und das Verteilte erneut umgeschaltet wird"15, in dieser mehrfachen
Transformationsbewegung wird auch die monumentale Vergangenheit aus der Erde
entborgen. Die Archäologie hat es also nicht nur mit einem verschwundenen
Gegenstand zu tun, mit der Abwesenheit als Gegenstand, sondern sie hat mit einem
Gegenstand zu tun, den sie ebenso wie die moderne Technik mit diesem Tun selbst
hervorbringt - ein Umstand, der zugleich bedeutet, dass die Vergangenheit kein
Gegenstand in einem herkömmlichen Sinne ist, sondern ein Gegenstand, der
von ihr selbst hervorgebracht und der Erde entrissen, entborgen wird: Die Archäologie
bringt ihr Produkt, die Vergangenheit, also in der Art eines Kohlekraftwerks
hervor und nicht wie eine Windmühle - um auf das von Heidegger gewählte
Beispiel zurückzukommen. Es macht deutlich, dass die Archäologie vor
allem deshalb Entbergung ist, weil sie die mediale und technische Bedingung
darstellt, unter der dieser Gegenstand allein erscheinen kann. Denn, wie es
in Heideggers Technik-Aufsatz weiter heißt, "erschließen, umformen,
speichern, verteilen, umschalten sind Weisen des Entbergens".
Das heißt in diesem Zusammenhang nichts anderes, als dass die Entbergung
zunächst einmal eine technische und mediale Angelegenheit ist: Die Archäologie
ist in einer fundamental medialen Situation. Im magischen Moment der Bergung
der Vergangenheit, der zugleich ihre Zerstörung bedeutet, muss sie diese
medial ersetzen. Sie muss die entdeckte Vergangenheit nicht nur "erschließen",
sondern auch sie "umformen, speichern, verteilen, umschalten". Es
handelt sich hier um einen diskontinuierlichen Prozeß der Übertragung
und Transposition, der Steuerung und Befehlsleitung und keinesfalls um eine
kontinuierliche Dynamik der Übersetzung. Im gegenwärtigen Streit um
kulturwissenschaftliche Entschlüsselungsverfahren - die sich beispielsweise
an Freud entzündeten16 - wäre eine solcherart mit Heidegger gestellte
Archäologie ein Argument für die medialen Verfahren der Transposition
und gegen eine hermeneutische Logik der Übersetzung, die noch Derrida in
Freuds Traumdeutung in Aktion gesehen hat.17 Weil die Archäologie die Vergangenheit
im Moment ihres Auffindens zerstört, erfindet sie diese als mediale Repräsentation
neu. Die Archäologie hat es also nicht nur mit einer verschwundenen Vergangenheit
zu tun, sondern genauer gesagt mit deren medialen Platzhaltern und Stellvertretern,
mit ihren Aufbereitungen und Simulationen: Sie ist auf die menschenleeren Archive
der Vergangenheit angewiesen.
Diese Geschichte der Mediatisierung der Archäologie ist übrigens keine
neue; schon lange Zeit bevor die Vergangenheit vom Computer komplett simuliert
wurde, war die tückische und kleinteilige Geschichte der Geräte der
Ausgrabung zugleich eine Geschichte der Medien und Geräte der Archäologie,
die die Vergangenheit gemäß ihren medialen Gesetzen hervorbrachten
- von den Minensuchgeräten, den "Förstersonden" des ersten
Weltkriegs bis zur Infrarotfotografie des zweiten, von den ersten Ballon-Luftaufnahmen
zur Unterstützung einer Grabung von 1908 bis zu den Röntgenfotografien
einer Mumie von 1920. Aus diesem medienhistorischen Blickwinkel wäre Schliemann
nicht ohne die Sonden der Geologie zu denken, Friedrich Krauss Beschreibung
der Tempel von Paestum 1943 nicht ohne Meydenbauersche Meßbildtechnik
und die Entzifferung der Tontäfelchen von Pylos nicht ohne Infrarot-Untersuchungen.
Der Nebenschauplatz der Gerümpelkammer aus Gerätschaften ist zugleich
der Hauptschauplatz einer beispiellosen Geschichte der Entbergung der Vergangenheit
und die Techniken der Archäologie bedeuten mit - einem leicht abgewandelten
- François Jacob eine "Maschine zur Herstellung von Vergangenheit."18
Wenn es bislang noch nicht gelungen ist zu zeigen, dass die Verwendung des Begriffes
Archäologie keineswegs willkürlich geschieht, dass der verwendete
Begriff des Archäologischen noch weniger ein metaphorischer ist, so genügt
dieser kurze Blick auf die Wissenschafts- und Technikgeschichte des jungen Faches
Archäologie, um die Gestellhaftigkeit der Archäologie zu verdeutlichen.
Das Gestell der Archäologie aus Sonden und neuerdings auch aus Scannern
lässt sich in der Tat wissenschaftshistorisch rekonstruieren: Denn diese
Wissenschaftsgeschichte des 18., 19. und mehr noch des 20. Jahrhunderts zeigt
zweifelsfrei, dass unter dem Etikett "Archäologie" seit dem 18.
Jahrhundert ein Wissen zunehmend technisch zu Tage gefördert und simultan
unter dem gleichen Namen historiographisch und philologisch verarbeitet wurde.
Daher gibt es starke Gründe für die Annahme, dass das gesamte Zeitverständnis
des skizzierten Zeitraums, also des 18., 19. und 20. Jahrhunderts - den wir
hier der Schlichtheit halber Moderne nennen - durch die Entdeckung der archäologischen
Materialität mitgeprägt wurde: also durch die Erkenntnis, dass sich
die Vergangenheit nicht nur erzählen, sondern auch entbergen lässt,
dass man nach ihr nicht nur in Texten, sondern auch in der Erde suchen kann.
Die Entbergung der Vergangenheit bedeutete also auch immer eine Entbergung der
jeweiligen Gegenwart, die etwas über die Vergangenheit erfuhr und deren
Zeitverständnis sich daraufhin änderte.
Doch nicht nur die Vergangenheit beginnt im 18. Jahrhundert, einem radikalen
Geschehen der technischen Entbergung anheimzufallen. Im selben 18. Jahrhundert
fängt man nicht nur an, in der Erde zu graben, sondern auch, dies sei am
Rande bemerkt, Körper zu sezieren und eigene tieranatomische Institute
für diese andere Grabungsarbeit zu gründen. Die Tiefe des menschlichen
und tierischen Körpers wird also gleichzeitig mit der Tiefe der Erde und
der Materialität der in ihr geborgenen Vergangenheit entdeckt. Aufgrund
dieser keinesfalls selbstverständlichen Materialität der Vergangenheit,
aber auch des Menschen, zeichnet sich nicht nur sie, die Archäologie, sondern
auch die von ihr geprägte Zeit, die Moderne, durch eine Spannung zwischen
Geistes- und Naturwissenschaft aus, zwischen subjektiven und objektiven Kriterien
der Beurteilung ihrer Gegenstände, kurz: durch die Spannung zwischen Positivismus
und Geschichtsphilosophie - eine Spannung übrigens, die sich auch auf die
Geschichtswissenschaft selbst zurückfalten lässt: Wenn man einer historischen
Kapazität wie Roger Chartier19 glauben darf, so befindet sich auch die Geschichte
der letzten Jahrzehnte auf der Wanderschaft zwischen textlichen und materiellen
Speichern. Auch die Geschichtswissenschaft ist derzeit von einem archäologischen
Zweifel befangen. Und so rekurriert auch sie im "Supermarkt des Vergangenen"20
auf die Archäologie, die plötzlich als eine Stimme im postmodernen
Konzert der Schreibweisen von Geschichte vernehmbar wird. Denn die Archäologie
ist diejenige Disziplin, an deren Geschichte sich diese Spannung nicht nur studieren
lässt; sie vollzieht den positivistisch-geschichtsphilosophischen Spreizschritt
in jeder ihrer Aussagen. Sie ist die einzige der geisteswissenschaftlichen Disziplinen,
die unter modernen Vorzeichen Text und Technik, Geist und Graben verbindet.
Die Archäologie ist - trotz oder gerade wegen der Grabenkämpfe zwischen
philologischen, kunsthistorischen und naturwissenschaftlich operierenden Archäologen
- in der beneidenswerten Lage, ein Wissen um die Vergangenheit zu den es konstituierenden
technischen und medialen Faktoren in Beziehung zu setzen. Das ist der Grund
für die Euphorie in archäologischen Dingen: Während Archäologie
Kultur zunächst - wie die derzeitige Medien- und Technikgeschichte - aus
nicht-schriftlichen Quellen ausliest, diese Quellen der material culture dann
aber mit philologischem Werkzeug verarbeitet, gehen in ihr natur- und geisteswissenschaftliche
Verfahren in eins. Allein dieser Umstand der fundamentalen Heterogenität
der Archäologie mag genügen, um die Faszination der Disziplin zu erklären.
Sie scheint der massgebliche Grund für den kuriosen und bereits erwähnten
Umstand zu sein, dass die Archäologie außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches
zur Leitwissenschaft desjenigen transdisziplinären Diskurses geworden ist,
der sich derzeit anschickt, die Grenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften
zu überwinden.
Die transdisziplinäre Kulturwissenschaft ist bei der Archäologie also
tatsächlich an der richtigen Adresse, die Akkumulation des Archäologischen
geschieht weniger willkürlich und vor allem weniger metaphorisch, als dies
auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Es ist die diskrete Technikförmigkeit
jeder archäologischen Erkenntnis - die Tatsache, dass man in der Archäologie
nicht von den Weisen der Entbergung der Vergangenheit abstrahieren kann -, die
die Archäologie heute für Künstler und Kulturwissenschaftler
spannend macht. Weil Kultur- und Mediengeschichten ihre Entdeckungen als ebenso
unabweisliches Gerüst, als das Heideggersche Gestell der Kultur begreifen
wollen, wie die alten Überreste, auf die Archäologen immer wieder
stossen, assoziieren sie sich mit Vorliebe mit der Archäologie - was übrigens
auch der Grund war, aus dem Freud gern zu seinen archäologischen Modellen
griff, die die Existenz des dubiosen Unbewussten als ebenso unbezweifelbar erscheinen
ließen wie die Existenz des sagenumwobenen Troja.
Archiv heißt in der Psychoanalyse wie in der Mediengeschichte also nichts
anderes als das Verlangen nach einer ebenso handfesten Grundlage des Geschichtswissens,
wie es die ausgegrabenen Monumente21 bereitstellten. Das wäre die Errungenschaft
- und zugleich der Wunschtraum - des archäologischen Blicks in den Kulturwissenschaften:
Dass die Kultur - in Deutschland bekanntlich seit der Aufklärung von der
technischen und funktionalen Sphäre der Zivilisation getrennt - wieder
Zugang zu ihren technischen Möglichkeitsbedingungen erhalten solle, dass
sie nicht mehr ausschließlich im Ghetto der Geistesgeschichte verbleibt,
sondern ebenso anschlussfähig wird an Maschinen und Materialitäten,
an Techniken und Texturen des Wissens. Vielleicht ist diese Erkenntnis tatsächlich
der gemeinsame Nenner all derer, die sich heute Archäologen nennen: Dass
man nicht mehr an eine Trennung zwischen instrumenteller und kontemplativer
Vernunft glaubt, sondern im Gegenteil an die Kreativität und Kultur derjenigen
Techniken und Verfahren, denen man diese Eigenschaften einmal absprechen wollte.22
Die Aktualität einer Wissenschaft, die wie keine zweite auf mediale Vermittlungen
und Entbergungen angewiesen ist, meint schließlich auch immer eine Aktualität
ihrer zeitgenössischen Archive. Denn was für die monumentale Vergangenheit
gelten soll, gilt von der Gegenwart erst recht: Weil die Archäologie unmittelbarer
als andere Wissenschaften an ihre Archive gekoppelt ist, weil sie erst als Reaktion
auf die Existenz einer Materialität der Vergangenheit entstanden ist, die
sie denn auch definiert, weil sie die einzige Geisteswissenschaft ist, die -
deutlicher noch als Geschichte und Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte
- unverzichtbar auf die Aufbereitung und Speicherung, die Ablagerung und Ablegung
der Vergangenheit angewiesen ist, war es schließlich auch nur eine Frage
der Zeit, wann die logische und institutionelle Verschränkung von Archäologie
und Mediengeschichte in Gestalt der Medien-Archäologie auf den Plan treten
würde. "Archive und Archäologie stehen (
) im Bund"
sagt denn auch der medienarchäologische Kronzeuge Wolfgang Ernst: "Alle
Archäologie ist auch Archivologie."23
Anders gesagt: Die Archäologie steht deswegen heute im Rampenlicht der
Aufmerksamkeit, weil sie, ihre Not zu einer Tugend machend, die Abwesenheit,
das heißt genauer gesagt die Medien und Archive seiner Ersetzung in das
Zentrum ihres eigenen Rampenlichtes stellen musste - ein Prozess, der zugleich
eine wissenschaftshistorische Herausforderung an die zeitgenössische und
vor allem an die deutsche Archäologie darstellt. Denn die diskreten Erzeuger
archäologischen Wissens - die Abstellkammern von verstaubten Karten und
Zeichenmaschinen, von Karteikästen mit Grabungsfotos und angefüllt
mit Tonnen von Abgüssen und sonstigen Simulationen - in ihrer vollen Medialität,
das heißt als Medien mit einer eigenen Wissensentfaltung zu erkennen,
ist vielleicht eine der größten Herausforderungen an die heutige
Archäologie: In den verstaubten Kammern der archäologischen Institute
dieser Erde schlummert ein mediales Wissen, das erst noch als solches erkannt
werden will. Nach all den Dingen, die man von der Archäologie hat lernen
wollen, ist diese Herausforderung vielleicht dasjenige, was die Archäologie
von der medienhistorischen Kulturwissenschaft heute lernen kann:24 Vielleicht
sollte man also einmal einige der archäologischen Künstler, die derzeit
in den Abstellkammern und Archiven der Kunstmuseen der Welt ihr Unwesen treiben,
auf ein archäologisches Institut ansetzen, um es aus diesem Schlummer zu
wecken.
Doch mit der Tatsache, dass die Archäologie ihre Not zu einer Tugend machte
und die Abwesenheit in das Zentrum ihrer Forschung stellte, hat es noch eine
andere Bewandnis außer der kulturwissenschaftlichen Herausforderung an
die Archäologie. Denn die Arbeit an der Abwesenheit scheint auch der Grund
für die Faszination zu sein, die der Archäologie heute von der zeitgenössischen
Ästhetik entgegengebracht wird. Schließlich betrifft das unheimliche
Phänomen des Verschwindens nicht nur die Vergangenheit, sondern neuerdings
auch die Gegenwart - und schließlich verschwindet heute nicht nur dasjenige,
was nicht vom Licht der Erkenntnis erreicht wird, sondern das Verschwinden äußert
sich als ein Effekt der Produktivkraft des Wissens selbst. In einer Zeit, wo
ein gesamtes kulturelles Erbe durch die Verfahren seiner Ablegung und Speicherung
in Frage gestellt erscheint, die Speicherung des Humanen selbst zur Frage wird,
erscheint schließlich nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart
des Menschen als ein technisch-mediales Konstrukt. Während die schmerzvolle
Abgeschnittenheit von der zur Vergangenheit für die Archäologie konstitutiv
ist, so hat man bei den gegenwärtigen Archäologen des Zeitgenössischen
den Eindruck, als sei die Diskontinuität in die unmittelbare Gegenwart
hinübergewandert - ein Befund, der aufgrund der Vielzahl der medialen,
technischen und gesellschaftlichen Revolutionen, innerhalb derer die jüngste
Künstler- und Wissenschaftlergeneration aufgewachsen ist, nicht einfach
von der Hand zu weisen ist: Es ist eine Binsenweisheit, dass die medientechnischen
Revolutionen, die an uns vorbeirauschen wie immer neue Computer-, Programm-
oder Dateiklassen, nicht nur diverse Dinge ermöglichen und erscheinen lassen
- in derselben diskontinuierlichen Bewegung, in der sie Dinge erscheinen lassen,
bringen sie andere zum Verschwinden. Die Diskontinuität ist also die verstörende
Erfahrung, die die Archäologen der Vergangenheit und der Gegenwart verbindet:
Möglicherweise befindet sich zwischen Schreibmaschinenschreibern und Computerusern,
zwischen Internetsurfern und Bibliotheksbesuchern, kurz zwischen schreibenden
und rechnenden Künstlern und Wissenschaftlern ein ebenso unüberbrückbarer
Abgrund wie der, der den Archäologen von seinen prähistorischen Vorfahren
trennte. Diese Erfahrung der Diskontinuität, die an der Wurzel des vielbeschworenen
"archäologischen Blicks" haftet, ist die Erfahrung, die wir heute
deutlicher als in anderen Zeiten machen.25
Weil unter anderem die "Archivtechnik (
) kontrolliert, was schon
in der Vergangenheit, was es auch war, als Vorwegnahme der Zukunft instituierte
und konstituierte", wie Derrida schreibt, aufgrund dieser existenziellen
Abgeschnittenheit von jeder Vergangenheit, aufgrund ihres unaufhörlichen
Erscheinens und Verschwindens in der Diskontinuität der technischen Revolutionen
verwundert es nicht, dass eine Kultur, deren Signum noch unlängst jene
Ästhetik des Verschwindens26 war, von der Paul Virilio ebenfalls 1980 gesprochen
hat, früher oder später auf die Techniken und Verfahren stoßen
musste, die die Archäologie für eine andere Epoche und eine andere
Abwesenheit entwickelt hat. Denn Archäologie heißt dasjenige Instrumentarium,
mit dem man die Abwesenheit einer vergangenen oder auch einer gegenwärtigen
Epoche bearbeiten kann. Anders gesagt: Weil die Gegenwart immer schneller vergangen
ist, weil sie technisch und medial immer besser zum Verschwinden gebracht wird,
ja weil die Gegenwart nicht aufgehört hat, nicht ebenso wie die entfernteste
Vergangenheit zu verschwinden, bedarf es immer dringlicher archäologischer
Verfahren, um nicht nur der Vergangenheit Herr zu werden, sondern auch um eine
Gegenwart zu entbergen, die in ihren medialen Speichern und Trägern immer
schon Vergangenheit ist. Wobei an dieser Stelle womöglich eine medientechnische
Grenze der Archäologie und des Archäologischen erreicht ist, einer
Archäologie, die wohl eingesetzt werden kann bei einer Kultur, die ihr
Wissen speichert und ablegt, von Steintafeln bis zu CD-Roms, aber die womöglich
weniger gefragt sein wird in einer Kultur, die vom Modus des Speicherns zu dem
der fortwährenden Übertragung gewechselt sein wird.
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1Immanuel Kant, Gesammelte Schriften. Band XX, Berlin 1942, 341 f.
2Vgl. beispielsweise Friedrich Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900, München
1995, 520: "Diskursanalysen dagegen haben auch nach Standards der zweiten
industriellen Revolution materialistisch zu sein."
3"Wichtig ist zudem die wissenschaftsgeschichtliche Rückbindung und
Reflexion der gegenwärtigen Reformulierungen der Geisteswissenschaften
an kulturphilosophische und -wissenschaftliche Traditionen." Hartmut Böhme,
Klaus Scherpe, Literatur und Kulturwissenschaft. Positionen, Theorien, Modelle,
Reinbek b. Hamburg 1996, 13.
4Friedrich A. Kittler (Hrsg.), Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften,
Paderborn 1980.
5Vgl. beispielsweise für eine medienhistorische Lektüre von Freuds
archäologischer Meisterdeutung Der Wahn und die Träume in Wilhelm
Jensens Gradiva: Manfred Schneider/ F. A. Kittler, Das Beste, was du wissen
kannst, in: Manfred Schneider/ F. A. Kittler/ S. Weber, Diskursanalysen 2. Institution
Universität, Opladen 1990, 129-151.
6Günter Metken, Spurensicherung. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung,
Berlin 1977, Carlo Ginzburg, Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte,
Kunst und soziales Gedächtnis, Berlin 1983.
7Sigmund Freud, Gesammelte Werke I, 426.
8"Archäologien der Gegenwart müssen auch Datenspeicherung, -übertragung
und -berechnung in technischen Medien zur Kenntnis nehmen." Friedrich Kittler,
Aufschreibesysteme 1800/1900, München [1987] 1995, 519. Im Nachwort von
1995 bedient sich Kittler erneut einer archäologischen Metaphorik für
die Beschreibung der mediengeschichtlichen Forschung, als er davon spricht,
es ginge heute darum, "den Raum gegenwärtigen Schreibens auszugraben
(
)." (523) Diese Formulierung erinnert - trotz des augenfälligen
Gegensatzes zwischen den beiden Autoren - an die Habermasische Charakterisierung
der Diskursarchäologie, die Foucault so beschrieben hatte, dass er "eine
Diskurspraxis mit ihren Wurzeln ausgräbt (
)." Jürgen Habermas,
Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Ff/M. 1985,
296.
9Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin 2002,
7.
10Michel Foucault, Dits et Ecrits I. 1954-1969, Paris 1994, 28.
11Martin Heidegger, Die Frage nach der Technik, in: Vorträge und Aufsätze,
Pfullingen 1954, 19f.
12Foucault wollte "den Diskurs aller seiner anthropologischen Bezüge
entledigen, und ihn behandeln, als sei er nie von jemand formuliert worden,
als sei er nicht unter besonderen Umständen entstanden, als werde er nicht
von Vorstellungen (représentations) durchdrungen (
)."Michel
Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1973, 284. Unverkennbar
führt Kittlers Kritik der Hermeneutik (Aufschreibesysteme 1800/1900, München
1995, 345, 520) diejenige Foucaults fort. Zur philosophischen Diskussion dieser
Kritik vgl. Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf
Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, 293f.; Axel Honneth, Kritik der Macht, Frankfurt/M.1985,
138, 141; sowie Christoph Menke, Zur Kritik der hermeneutischen Utopie. Habermas
und Foucault, in: Eva Erdmann (Hrsg), Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der
Aufklärung, Frankfurt/M. 1990, 101-129.
13Die Archäologie "behandelt den Diskurs nicht als Dokument, als Zeichen
für etwas anderes, als Element, das transparent sein müßte,
aber dessen lästige Undurchsichtigkeit man oft durchqueren muß, um
schließlich (
) die Tiefe des Wesentlichen zu erreichen; sie wendet
sich an den Diskurs in seinem ihm eigenen Volumen als Monument." Michel
Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1973, 198.
14In seiner Analyse des "Rattenmannes" wird Freud schreiben, "die
Verschüttung [der pompejanischen Grabfunde] habe für sie die Erhaltung
bedeutet." Sigmund Freud, Gesammelte Werke, VII, 400.
15Martin Heidegger, Die Frage nach der Technik, in: Vorträge und Aufsätze,
Pfullingen 1954, 16.
16Vgl. Sigrid Weigel, Freuds Schriften zu Kunst und Literatur zwischen Rätsellösung,
Deutung und Lektüre, in: Mimesis, Bild und Schrift. Ähnlichkeit und
Entstellung im Verhältnis der Künste, hrsg. von Birgit Erdle und Sigrid
Weigel, Köln/ Weimar/ Wien 1996, 44; Friedrich Kittler, Aufschreibesysteme
1800/1900, München 1995, 345.
17Jacques Derrida, Freud und der Schauplatz der Schrift, in: Die Schrift und die
Differenz, Frankfurt/M. 1972. Eine Korrektur erfährt die Interpretation
Derridas bei Sarah Kofman, Wahn und Fiktion. Über Freuds Abhandlung Der
Wahn und die Träume in W. Jensens "Gradiva", in: Die Kindheit
der Kunst, München 1993, 241.
18François Jacob, Das Spiel der Möglichkeiten, München 1983.
19Roger Chartier, Zeit der Zweifel, in: Geschichte schreiben in der Postmoderne.
Beiträge zur aktuellen Diskussion, hrsg. von Christoph Conrad und Martina
Kessel, Stuttgart 1994, 83- 97.
20Christoph Conrad/ Martina Kessel, Geschichte ohne Zentrum, in: Geschichte schreiben
in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, hrsg. von Christoph
Conrad und Martina Kessel, Stuttgart 1994, 9.
21Vgl. zum Begriff des Monumentes Horst Bredekamp, Einleitung, in: F. Piper, Einleitung
in die monumentale Theologie, 1978, 9-15.
22Vgl. Max Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt/M. 1967.
Einen Rückblick auf die Kritische Theorie veranstaltet Friedrich Kittler
in: Copyright 1944 by Social Studies Association, Inc., in: Sigrid Weigel (Hrsg),
Flaschenpost und Postkarte. Korrespondenzen zwischen Kritischer Theorie und
Poststrukturalismus, Köln/ Weimar/ Wien 1995, 185-194.
23Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin 2002,
10.
24Von Wolfgang Ernst ergeht der Vorschlag, sich den modernen mit dem "archäologischen
Blick" zu nähern und dort "nicht-diskursive Formen des Umgangs
mit den Archiven der Vergangenheit zu erproben." Wolfgang Ernst, Das Rumoren
der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin 2002, 30ff.
25"Doch privilegiere ich das Merkmal des E-mail noch aus einem wichtigeren
und offensichtlicheren Grunde: Weil die elektronische Post heute mehr noch als
das Fax dabei ist, den gesamten öffentlichen und privaten Raum der Menschheit
und zunächst die Grenze zwischen dem Privaten, dem (privaten oder öffentlichen)
Geheimen und dem Öffentlichen oder Phänomenalen zu verwandeln. Es
ist nicht nur eine Technik, im geläufigen Sinne dieses Ausdrucks: in einem
unerhörten Rhythmus, gleichsam augenblicklich, muss diese instrumentelle
Möglichkeit der Hervorbringung, des Eindrucks, der Bewahrung und der Zerstörung
des Archivs zwangsläufig von juristischen und folglich politischen Veränderungen
begleitet werden. Und diese affizieren das Recht auf Eigentum, das Recht zu
publizieren und zu reproduzieren - und nichts weniger. Laufende Veränderungen,
radikale und endlose Turbulenzen, worauf wir heute blicken und an deren Skala
wir die klassischen Arbeiten bemessen müssen. (
) Doch dürfen
wir darüber nicht die Augen schließen vor der im Gang befindlichen
grenzenlosen Umwälzung der Archivtechnik. Vor allem muss es uns daran erinnern,
dass die sogenannte Archivtechnik nicht mehr nur allein den Moment der bewahrenden
Aufzeichnung, sondern schon die Institution des archivierbaren Ereignisses bestimmt,
und dass sie dies jeher getan hat. (
) Diese Archivtechnik hat kontrolliert,
was schon in der Vergangenheit was es auch war als Vorwegnahme der Zukunft instituierte
und konstituierte." Jacques Derrida, Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche
Impression, Berlin 1997, 36 ff.
26Paul Virilio, Ästhetik des Verschwindens, Berlin 1986.